Ich habe Schottland auf viele Weisen kennengelernt. Als Studentin in Edinburgh, ganz frisch nach der kürzlich getroffenen Brexit-Entscheidung, in den lebhaften Pubs dieser Stadt, Hausarbeiten schreibend in den Bibliotheken und Cafés, auf etlichen Roadtrips durch die Highlands, deren Anblick nie langweilig wurde, weil sie jedes Mal durch unterschiedlichste Wetterlagen eine andere Magie ausübten; und wandernd auf dem West Highland Way von Glasgow nach Fort William, nachdem ich gerade in einer feierlichen, höchst königlich wirkenden Abschlussfeier (sie mögen es royal auf der Insel) mein Diplom überreicht bekommen hatte.
Jetzt, einige Jahre später mit mehr Wildnis- und ein bisschen Kajakerfahrung im Gepäck (dank Liam!), machten wir uns auf den Weg, um diesen mir so besonderen Flecken Erde aus einer neuen Perspektive zu erkunden und uns gleichzeitig mental auf die große Kajaktour im Frühjahr 2024 vorzubereiten.
Bei unserer Vorbereitung hatten wir ursprünglich die Isle of Mull im Blick, hatten jedoch Bedenken, dass die Route zu ungeschützt und damit zu viel Wind und Wellen ausgesetzt sein könnte. Außerdem würde es für unsere beiden Freunde die erste Kajakerfahrung auf dem offenen Meer sein. Daher entschieden wir uns letztendlich für eine kürzere Strecke, bei der wir auch bei ungünstiger Wetterlage noch flexibel umplanen könnten. Tatsächlich legen viele Kajak-Touranbieter in der Region ihre genaue Route oft erst wenige Tage vor dem Start fest, weil es eben so wetterabhängig ist. 🏴
Während unserer Recherche standen wir in Kontakt mit Stuart von Rockhopper Sea Kayaking in Fort William, der uns nicht nur das Equipment vermietete, uns zum Startpunkt brachte und wieder abholen würde, sondern uns auch vor und während der Reise mit kompetentem Rat zur Seite stand.
Unsere ins Auge gefasste Route erstreckte sich von Glenfinnan entlang des malerischen Loch Shiel bis hin nach Mallaig. Sollte dies zu anspruchsvoll oder generell zu lang werden, hatten wir immer die Option, vorzeitig eingesammelt zu werden; letztendlich waren wir dann nämlich doch nur bis Arisaig unterwegs.
Anreise nach Glenfinnan - der Auftakt
Zwar gibt es auch eine Zugverbindung von Edinburgh nach Fort William, aber die Busfahrt mit Citylink war nicht nur kostengünstiger, sondern auch fast genauso schnell. Nach rund fünf Stunden und dabei einem Umstieg in Glasgow erreichten wir schließlich Fort William. 🚌
Unsere Reisetaschen waren prall gefüllt für kulinarische Highlights; irgendwie geben wir uns beim Kochen in der Wildnis immer mehr Mühe, als wir es im Alltag tun. Für unsere erste Nacht hatten wir bereits einen Zeltplatz im Ben Nevis Holiday Park reserviert. Bei Regen bauten wir unsere Zelte auf und kochten unsere erste gemeinsame Mahlzeit. ⛺️
Das Schleppen unserer schweren Taschen, voll mit besagten kulinarischen Highlights, zur Bushaltestelle wollten wir uns nicht noch einmal zumuten, deshalb bestellten wir für den nächsten Morgen ein Taxi ins 5 km entfernte Corpach, was sich für eine Gruppe von vier Personen auf jeden Fall lohnte.
An der Lagerhalle von Rockhopper Sea Kayaking nahm Stuart sich Zeit, um mit uns mögliche Routen zu besprechen. Gemeinsam studierten wir die Karten sowie Wetter- und Windvorhersagen, bevor er uns ins etwa 20 km entfernte Glenfinnan brachte. Unser Kajakabenteuer begann auf Loch Shiel, einem 28 Kilometer langen See, der am Ende über einen Fluss ins Meer mündet.
Während wir uns mit den ersten Paddelschlägen aufs Wasser begaben, hatten wir das Glück, die Jacobite Dampflokomotive (also quasi den Hogwarts Express) über den Glenfinnan-Viadukt fahren zu sehen - eine Brücke, die allen Harry-Potter-Fans wohlbekannt ist. Für diejenigen von uns, die der Magie von Hogwarts verfallen sind, hat auch Loch Shiel selbst eine besondere Bedeutung, da es der fiktionale Ort von Hogwarts ist. ⚡️
Erste Nacht - Loch Shiel
Übernachtung: (56.762581, -5.650063), Distanz: 18 km
Eigentlich waren es optimale Konditionen - bedeckter Himmel, trotzdem recht warm, ruhiges Wasser, kaum Strömung, minimaler Regen zwischendurch. Wir waren alleine auf dem Wasser; am Anfang hörte man am Ufer links auf einer Schotterpiste noch einen Truck zu einer Fischfarm entlangfahren, später gab es aber außer unseren Paddelschlägen und bei Pausen ein paar zwitschernden Vögeln absolut nichts mehr zu hören. Peaceful. ☮️
Zweite Nacht - Eilean Shona Island
Übernachtung: (56.792246, -5.884701), Distanz: 22 km
Am zweiten Tag prasselte der Regen auf uns herunter und wir freuten uns über die warme Cullen Skink Suppe zum Mittag in einem Café in Acharacle, auch wenn es sich etwas merkwürdig anfühlte, auf einem ‘Wildnis’ Trip in einem Café in der Zivilisation zu essen. Nach der kurzen Aufwärmung paddelten wir durch den Shiel River unter einigen alten Steinbrücken und an einigen Fischern vorbei. Der Fluss ist größtenteils sehr flach, aber in der Nähe des Flussendes gibt es eine Stromschnelle, die ins Meer führt, welche ziemlich herausfordernd sein kann und einer Grad 3 Stromschnelle entsprechen kann. Falls nötig besteht die Möglichkeit, diese Stromschnelle über einen Weg am linken Ufer zu umgehen. Wir hatten unsere Durchfahrt so getimt, dass wir recht wenig von der Strömung merkten. Dennoch waren wir vorher noch einmal kurz ausgestiegen, um uns das Flussende von Land aus angucken zu können und wirklich sichergehen zu können, dass wir easy durchkommen würden, denn wir hatten bei unserer Recherche vorab schon Bilder von sehr ordentlichen Strömungen gesehen. 🌊
An der Tioram Castle vorbei erreichten wir das Meer und endeten an diesem spektakulären weißen Sandstrand, der uns ein wenig sprachlos machte. Eine Gruppe von fünf Hirschen beobachtete uns vom Hügel aus, während wir unser Camp aufschlugen und den Sonnenuntergang genossen. 🌅
Dritte Nacht - bei Peanmeanach Beach
Übernachtung: (56.859430, -5.762371), Distanz: 21 km
Am nächsten Morgen bei blauem Himmel beschlossen wir, statt direkt an der offenen Küste gen Norden zu paddeln, einen kleinen Umweg einzulegen. Wir machten uns also auf den Weg zurück zur Tioram Castle und trugen die Kajaks nördlich der Burg rüber auf die andere Seite der Eilean Shona Insel, wo wir geschützt weiter paddeln konnten. Als wir dann wieder an hellblauem Wasser vorbei das offene Meer erreichten, waren wir eine Zeit lang weiterhin geschützt von ein paar kleineren Inseln. Es wurde aber schon um einiges schaukeliger auf dem Wasser, auch als wir in die nächste große Bucht Richtung Samalaman Bay einbogen, wo wir für unsere Mittagspause auf einer kleinen Insel anhielten und die Sonne genossen. ☀️
Unser Ziel für den Abend war der kleinere Strand links vom Peanmeanach Beach, an welchem es sogar eine Bothi (Hütte) gibt, die man mieten kann.
Vierte Nacht - bei Port nam Murrach
Übernachtung: (56.887540, -5.908520), Distanz: 16 km
Es war recht windig an jenem Morgen. Unsere Freunde hatten beschlossen nicht weiterzupaddeln und so kreuzten wir die Bucht noch einmal zu viert mit viel Gegenwind in Richtung des kleinen Örtchens Roshven, wo die zwei am nächsten Tag gut eingesammelt werden könnten. Und wir würden mal behaupten, sie verbrachten im Anschluss einen weitaus angenehmeren Tag und Nacht als wir. Als sie nämlich zwei Handwerker fragten, ob sie ihr Zelt für eine Nacht auf der Wiese aufschlagen durften, bekamen sie schottische Gastfreundschaft zu spüren, wurden prompt eingeladen kostenlos in einer der Ferienhütten zu schlafen, durften selbstgeräucherten Hummer und Lachs probieren und wurden später mit in den örtlichen Pub genommen. Sie mussten wohl ziemlich erledigt gewirkt haben 😉
Liam und ich blieben weiter Wind und Wetter ausgesetzt und nun fegten wir mit Rückenwindantrieb regelrecht über Loch Ailort und Loch Nan Uamh. Wir waren doppelt so schnell wie sonst und es machte wahnsinnig Spaß, allerdings wurden nach und nach auch die Wellen größer und das Paddeln technisch anspruchsvoller. An Pause war nicht zu denken; wir wollten einfach so schnell wie möglich zum Port Nam Murrach Strand kommen. Irgendwann waren die Wellen für uns zu hoch, der Wind zu stark; ich hatte einen Moment, an dem ich zu kippen drohte, mich doch noch aufrecht halten konnte, danach aber kurz in Schnappatmung und Panikmodus verfiel. Um stabil zu bleiben, klammerte ich mich an Liams Kajak fest, der uns in die nächste Bucht navigierte, die nicht mehr weit war. Dort begrüßten uns zwei Schafe, ich setzte mich in den Sand, schaute zurück aufs Wasser, während ich in einen knackigen Apfel biss und froh war, an Land zu sein. 🍎
Auch für Liam waren die Wellen außerhalb seiner Komfortzone. Dennoch wollte er noch weiter nach Port nam Murrach, weil es nur von dort einen Weg gab, der uns irgendwann wieder zu einer Straße bringen könnte. Während ich über Land zu den nächsten Buchten marschierte, versuchte Liam erst die Kajaks an der Küste auf dem Wasser entlang zu bugsieren, setzte sich dann letztendlich doch hinein und band das zweite Kajak hinten dran.
Der Strand, an dem wir ankamen, war sumpfig und hatte keinen geeigneten Zeltplatz, Empfang hatten wir auch nicht, um uns einen Plan für den nächsten Tag zu überlegen bzw. mit Stuart durchzusprechen. Durch eine Pforte folgten wir einem Schafspfad und trugen die Kajaks und all unser Equipment Stück für Stück 500 Meter den Hügel hinauf, wo wir interessiert von einer Horde Schafen und desinteressiert von zwei Pferden in Empfang genommen wurden. 🐑🐑
Bei Regen und sehr viel Wind bauten wir unser Zelt auf, konnten mit Stuart telefonieren, um die Abholung für den nächsten Tag zu planen, aßen unser Mittag-, Abendessen und Snacks alles auf einmal und hielten nachts unsere Zeltstangen fest, weil es so windig war. 🌬️
Letzter Tag - in die Bucht von Arisaig
Distanz: 3 km
Neuer Tag, neues Glück. Es waren noch 800 Meter den Weg hinunter bis zu einer Pforte, hinter der wir wieder eingesammelt werden könnten. Da uns das Wetter aber am Vortag einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, wollten wir unbedingt nochmal aufs Wasser, wenn auch nur kurz, in der Hoffnung in der Bay of Arisaig noch ein paar Robben sehen zu können. Also der ganze Spaß nochmal: Kajaks und viele Taschen wurden noch einmal Stück für Stück die 800 Meter über die Landzunge getragen, sodass wir wieder ins Wasser einsetzen konnten, aber nicht nochmal dem offenen Meer ausgesetzt sein mussten. Das Wasser in der Bucht war einigermaßen ruhig, auch wenn es immer noch recht windig war. Ganz bis in die Ortschaft Arisaig hätten wir nicht fahren können, da gerade Ebbe war, aber immerhin bekamen wir auf unserer kleinen Runde noch ein paar Robben zu sehen und sahen dann schon den Rockhopper Sea Kayaking Van den Weg hochfahren. 🦭
Die schottische Natur hat uns überwältigt; es war wahnsinnig schön - auch wenn es nur ein paar Tage waren - in der Wildnis zu sein, im Meer zu baden, sich abends am Feuer aufzuwärmen und leckere Mahlzeiten auf dem Campingkocher zuzubereiten, sich kräftetechnisch gewappnet zu fühlen, den ganzen Tag auf dem Meer zu paddeln. Und gelernt haben wir auf jeden Fall, dass wir, wenn uns Wind und Wellen einfach zu krass sind, immer die Möglichkeit haben, an Land zu gehen und das Wetter auszusitzen anstatt “da jetzt irgendwie durch zu müssen”. Und das Aussitzen und Zeitnehmen wird sicherlich auf einem 30 Tage Trip einfacher als auf einem 5 Tage Trip. Wir freuen uns auf jeden Fall sehr auf das nächste Kajak-Abenteuer! 🇮🇩 🌴